Unvergesslich lehrreiche zwei Monate liegen auf Johnny und Annas sowie John und Karynes schönem Fleckchen Erde hinter mir. Mittlerweile bin ich gen Süden weitergezogen und habe die milchgebenden Mädels hinter mir gelassen. Doch die Zeit wird mir für immer in Erinnerung bleiben, nicht zuletzt, weil ich mir an einem schönen Sommertag die Kamera geschnappt und wirklich alles abgelichtet habe – sogar die muhende Rosemarie. Kommt mit, auf eine private Führung über die Farm!
Wie ein Zug schlängelt sich die große Herde der milchgebenden Mädels über das gut sechs Kilometer lange Wegenetz der Farm. Als Lokführer der Zugmaschiene, wohlgemerkt der ersten Herde, die um die 250 Kühe umfasst, habe ich die Weichen bereits im Vorfeld gestellt. Ziel: Der Melkstand im Zentrum des circa 100 Hektar umfassendes Areals.
Gut, ganz so szenisch sieht es zwar nicht aus, wenn ich mit dem Motorrad hinter „meinen Mädels“ herumsause und die Hupe auf Anschlag presse, um die letzte müde Kuh zum Laufen zu motivieren. Aber es hört sich fast so an, wenn sich die Herde schnaufend den Berg hochschiebt.
Habe ich alle einzelnen Felder geschlossen, die wir passieren? Eine Frage, die sich mir jedes Mal aufs Neue gestellt hat. Denn was an der Spitze vor sich geht, kann man nur erahnen. Nicht zuletzt, weil mir zwei nicht eingehakte Spanngurte in der ersten Woche zum Verhängnis wurden und ich so die ganze große Herde vom einem abgegrasten Feld auf ein frisches manövrierte. Ein großer Spaß, ich sag’s euch! Hatte ich mich anfangs noch über die regelrecht kreischenden Kühe gewundert. wurde mir schon kurz darauf klar, was passiert war. Glücklicherweise hatte Johnny vom Melkstand, der sich auf dem gegenüberliegenden Berg befindet, das Malheur erkannt. Gemeinsam trieben wir die sichtlich in Freude versetzten Kühe von der Weide.
Doch nicht nur unverschlossene Wiesen haben manchmal für die eine oder andere Schweißperle gesorgt. So kam es vor, das einzelne Kuhgruppen in den abgezäunten Feldern vergessen wurden. Häufig am frühen Morgen, wenn die schwarz, braun gescheckten Kühe im Dunkeln nicht wirklich zu erkennen sind.
In den vergangenen Wochen habe ich unglaublich viel über die großen muhenden Säugetiere, die ich in Deutschland vereinzelt mal irgendwo am Horizont wahrgenommen hatte, gelernt.
Wo wir gerade beim Kühe eintreiben waren. Wusstest ihr, dass jedes einzelne Tier ihren festen Platz in der Herde hat? Nehmen wir als Beispiel die kunterbunt gefleckte Kuh 401, die ich auf den Namen Charlotte getauft habe und auf der Weide häufig in der hintersten Ecke mit einigen anderen milchgebenden Huftieren steht. Während die gesamte Gruppe zum Melkstand getrieben wird, marschiert Charlotte bis an die Spitze vor und leitet ihre folgenden Freundinnen zum Ziel. Sie steht eigentlich immer auf Platz eins in Reihe eins. Ein weiteres Beispiel ist Rosemarie, Kuh 68, die sinnbildlich meist die rote Laterne in ihrer kauenden Schnute trägt und als eine der letzten Wiederkäuer gemolken wird.
Ziemlich interessant gestaltete sich kürzlich der vom Veterinär im Melkstand durchgeführte Schwangerschaftstest. Nein, bei Kühen kommen keine kleinen Wegwerftests zum Einsatz. Vielmehr wird eine Sonde, ausgerüstet mit Kamera, rektal eingeführt. Tierarzt Paul ließ mich sogar einmal durch seine Projektor-Brille schauen. Siehe da, in Rosemarie wächst ein winziges Kalb heran. Noch gut 100 Tage braucht der Nachwuchs von Kuh 68. Bei rund 450 milchgebenden Mädels, kann es natürlich auch einmal passieren, dass eine Kuh krank wird, sich beispielsweise eine Infektion im Euter einfängt. Solche Wehwehchen behandelt Johnny direkt am Melkstand. Letztens durfte ich eine Antibiotika-Spritze in den besagten Milchtank der betroffenen Kuh drücken, die anschließend für gut acht Tage lang separat gemolken wurde.
Da sich der Sommer „hier unten“ so langsam aber sicher dem Ende entgegenbewegt, hat sich in den vergangenen Wochen der tägliche Melkrythmus verändert. So werden die Mädels aktuell nur noch aller 16 Stunden gemolken. Heißt: Montags stehen die Kühe um 5 Uhr morgens und um 19 Uhr abends im Stall, am Dienstag beispielsweise nur um 11 Uhr mittags. Mittwoch geht’s wieder früh los. Grund für die Änderung sind die abgegrasten Wiesen und die Tatsache, das Kühe im Herbst, Winter und Frühling nicht so viel Milch geben, wie im Sommer. Im Winter werden die meisten Kühe sogar trockengelegt, bis die neue Saison losgeht. Johnny hat mir erklärt, dass ein bestimmtes Mittel, dass direkt in den Euter gespritzt wird, dafür sorgt, dass das entsprechende Huftier über einen bestimmten Zeitraum keine Milch mehr gibt.
Hinsichtlich der Wiesen, kommen dieser Tage vermehrt Heuballen zum Einsatz, die ausgetragen werden. Kraftfutter, das nach Schinken riecht und eigentlich aussieht wie Zimt, wird außerdem auf kleinen transportablen Anhängern auf die Weide geschleppt.
Apropos: In welche der über 40 verschiedenen einzelnen Areale die Kühe nach dem Melken geschickt werden, entscheiden Sohn Johnny und Vater John eigentlich jeden Tag aufs Neue relativ spontan. Auch ein kleiner Vulkan gehört zum 100 Hektar großen Anwesen. Wichtig ist, wie ich gelernt habe, dass die Wege und Kreuzungen richtig gesetzt sind und alle Spanngurte richtig eingehakt sind. Zum Gehege laufen die Kühe alleine und müssen hinterher nur weggesperrt werden.
Springen wir kurz zurück! Ihr fragt euch bestimmt, wie ich an den ersten Tagen mit den Gerüchen und herumfliegenden sowie feuchten Körperausscheidungen zurecht gekommen bin. Ganz ehrlich? Anfangs war ich ein bisschen geschockt und angeekelt darüber, wie viel Dung gut 450 Kühe im Stall hinterlassen können. Aber das hat sich nach einigen Tagen gelegt. Schließlich gewöhnt man sich daran. Auch wenn man ständig versucht, einer feuchten Attacke aus dem Weg zu gehen – irgendwann muss man dran glauben. Johnny meint immer scherzhaft: „Atem anhalten und durch!“
Im Kuhstall geht es übrigens musikalisch zu! Aus den Boxen dröhnt bei jeder Melkeinheit einer der beliebtesten neuseeländischen Radiosender: The Rock FM. Wie es der Name schon sagt, Rock zu jeder Stunde – also auch fünf Uhr morgens. Die milchgebenden Mädels stehen in Reihe und Glied und lassen die Saugnäpfe über sich ergehen, während im Radio AC/DC oder Metallica ertönt. Letztens lief sogar Rammstein mit „Sonne“! Johnny meint, dass die Musik nicht nur eine beruhigende Wirkung auf die Kühe hat, sondern im Grunde auch die monotone Geräuschkulisse der etlichen Pumpen übertönt. Recht hat er!
Neben dem Melken gibt es auf der Farm natürlich allerhand andere Dinge zu tun. Da wären beispielsweise die Schweine und Kälber, die Johnny nebenbei verkauft und täglich mit frischer Milch und dem erwähnten Pulver gefüttert werden möchten. Holz galt es ebenfalls für den bevorstehenden Winter zu hacken und marode Zäune zu ersetzen.
Zur Rasselbande gehören drei große Säue, mit jeweils rund zehn kleinen Ferkeln, außerdem rund 30 Kälber und drei einzelne große Schweine, die irgendwann zu Geld gemacht werden. Auf den gut 40 Feldern wächst natürlich viel Unkraut. Manche Sprösslingen sind gut für die Regeneration der Wiesen, andere, die sich nur ausbreiten und von den Kühen gemieden werden, müssen weg.
In den zurückliegenden Wochen habe ich tatkräftige Unterstützung durch Paul erfahren, der als Farmassistent angefangen hat und für einige Jahre hier bleiben und Johnny sowie Anna unter die Arme greifen möchte. Zusammen mit ihm habe ich im alten Farmhaus gelebt, in dem nicht nur Johnny, sondern ebenfalls John groß geworden ist. In der Holzkonstruktion stecken viele Erinnerungen.
Unterwegs auf den Feldwegen und Wiesen war ich größtenteils mit meiner blauen „Bertha“. Ein zuverlässiges Motorrad, das sogar schwieriegste Anstiege mit Bravour meisterte. Wie man so eine PS-Maschiene fährt, habe ich übrigens erst hier in Neuseeland gelernt. John hat mir gezeigt, wie man es startet – der Rest ist Übung. Und klar, Stürze gehören dazu. Um die Milch zu den Schweinen oder die Anhänger von den Weiden zu transportieren war etwas mehr Zugkraft nötig. Für solche Zwecke bin ich regelmäßig auf Johnnys Quad umgestiegen.
Als echte Hilfe und treuer Gefährt erwies sich übrigens der von Johnny ausgebildete Hund Zac, der auf Kommando die Mädels bestens unter Kontrolle hatte.
Das Areal umfasst so um die 100 Hektar, also etwa 100 Fußballfelder. Viel Platz also für Scheunen, alte Gerätschaften oder Fahrzeuge, die die Landschaft zieren.
Live is live , das lebst Du. Ich lebe es mit durch deine super Blogs. Lass uns nicht lange warten auf den nächsten . PS das Quad steht Dir super.
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