Keine Angst, ich führe kein Selbstgespräche. Jedenfalls noch nicht. Vielmehr möchte ich euch mithilfe dieses Beitrages aufzeigen, wie es sich anfühlt, wieder zurück zu sein im Alltag, in der vertrauten Umgebung, die sich Heimat nennt. Deswegen frage ich mich stellvertretend: Martin, wie fühlt es sich an, wieder zurück in Deutschland zu sein?
Während das Flugpersonal irgendwelche Wortfetzen ins Mikrofon nuschelt, habe ich bereits abgeschaltet. Die Maschine hat zum Sinkflug angesetzt und als wir die Wolkendecke durchbrechen, werden bereits die Umrisse von Frankfurt ersichtlich. Und genau jetzt wird mir erst bewusst, dass die nun folgende Landung eine besondere für mich sein wird. Sie wir den Abschluss einer knapp einjährigen Reise markieren, mich wieder zurück auf den Boden der Tatsachen bringen. Als das Flugzeug letztlich aufsetzt, überkommt mich pure Vorfreude. Ihr kennt das sicherlich – der sprichwörtliche Kloß im Hals. Nur ist der Kloß so groß, dass ich ihn nicht einfach schlucken kann. Es ist ein erdrückendes Gefühl.
Während ich auf meinen Backpack warte, suche ich im Rucksack nach meiner deutschen SIM-Karte und werde zu meiner Überraschung prompt fündig. Sofort trudeln Nachrichten ein. Doch ich habe nur Augen für meinen grell-grünen Rucksack, der gerade aufs Transportband gefallen ist. Ich bahne mir einen Weg und mir rutscht ein „Excuse me?!“ heraus. Etwas fehl am Platz, versuche ich es mit einem „Entschuldigung?“. Erst jetzt zucken die Deutschen, die das Gepäckband komplett versperren.
Ein letztes Mal schnalle ich mir meinen Backpack auf, der mich größentechnisch überragt und mittlerweile nicht mehr um die 24 sondern nur noch 17 Kilogramm wiegt. Und als ich kurz darauf in Richtung Ausgang abbiege, sehe ich schon mein Empfangskomitee in der Ferne stehen. Die nächsten Minuten voller Wiedersehensfreude lösen den Kloß in meinem Hals wie Rohrreiniger einen Pfropfen im Abfluss. Es fließen Tränen und das erste, dass ich zu hören bekomme ist: „Martin, du siehst so dünn aus!“ Mütter eben. Es ist ein überwältigendes Gefühl, eben jene Herzensmenschen wieder in die Arme schließen zu können.
Die kühle Luft vor dem Flughafengebäude macht mich direkt mit dem deutschen Herbst vertraut. Ich atme durch. Kein Vergleich zur einnehmenden Wolke, die über Bangkok hängt, alles vereinnahmt und jeden, der sich noch so davon wehrt, mit einem Schweißfilm überzieht.
Und schon geht die Autofahrt los. Es ist seltsam, wieder auf der rechten Seite als Beifahrer zu sitzen, fuhren doch die Verkehrsteilnehmer in Thailand, Australien, Fidschi und Neuseeland stets links. Omas geschmierten Schnitten könnten nicht besser schmecken. Es ist, als würde man zurückversetzt in die frühe Kindheit. Zweite Klasse, Inhalt der Brotbüchse: Mit Liebe geschmierte Schnitten. Und das schmeckt man.
Hälfte der Strecke, Zeit für eine Pause am Rasthof. Es gibt Schnitzel. Und so richtig kann ich es noch nicht fassen. Vor 20 Stunden stand ich noch nassgeschwitzt vor einem Hostel im stickigen Bangkok und musste mich mit aufdringlichen Tuk-Tuk-Fahrern rumschlagen und nun sitze ich an einer Raststätte bei Kassel und bin drauf und dran ein Schnitzel zu verputzen. Ich starre meiner Mutter in die Augen und ernte selbigen Blick plus ein Lächeln.
Zu Hause angekommen, finde ich alles genau so vor, wie ich es verlassen habe. Okay, meine Mutter hat meine Bettwäsche gewechselt. Danke! Doch sonst steht und liegt alles so, wie ich es in Erinnerung behalten habe. Die erste Nacht im eigenen Bett fühlt sich gut an. Bevor ich einschlafe, denke ich zurück und sehe vor dem geistigen Auge all die Matratzen samt Kopfkissen und Bettdecken an mir vorbeiziehen, die mir in den zurückliegenden mehr als 300 Tagen die Nächte geebnet haben.
Der nächste Tag beginnt früh und ist von Behördengängen geprägt. An den darauffolgenden Tagen darf ich meine Familie und Freunde wiedersehen. Jedes Mal aufs Neue bin ich erfreut, wie meine Erlebnisse andere Menschen überraschen, gar staunen lassen. Ich erzähle gerne. Wie es ist, um vier Uhr morgens Kühe mit dem Motorrad zu manövrieren. Wie es sich anfühlt, so lange zu reisen und sowieso wie es mir nach diesem Abenteuer geht.
Es vergingen einige Tage, bis ich schließlich in einer ruhigen Minute realisieren durfte, dass diese Reise nun tatsächlich ein Ende, einen Abschluss gefunden hat. Und über letzteres bin ich keineswegs traurig. Es füllt mich jedes Mal mit Freude, an diese Zeit zu denken. Falls ihr euch fragt: Ja, wenn immer ich nun eine Kuh sehe, muss ich daran denken, wie ich das erste Mal im Kuhstall bei Johnny und Anna stand. Jedes Mal, wenn ich einen Sternenhimmel sehe, höre ich das knattern eines Traktors. Und vielleicht fährt Johnny ja gerade auch in diesem Moment in der späten Nacht zur Weide hoch, um die Kühe mit Kraftfutter zu versorgen. Und ich kann nur erahnen, dass er im selben Moment vielleicht an die vielen tiefgründigen Gespräche denkt, die wir führten.
Wie ich schon einmal kurz angeschnitten hatte, fiel der Abschied von Neuseeland reichlich schwer. Zehn Monate sind eine lange Zeit. In dieser durfte ich viele schöne Minuten, Stunden und Tage mit allerhand Menschen verbringen. Johnny beispielsweise war für mich wie ein „Brother from another Mother“, sprich ein Bruder von einer anderen Mutter. Ich habe seine Freundlichkeit, Dankbarkeit und Offenheit regelrecht aufgesaugt. Wie hättet ihr reagiert, wenn plötzlich ein deutscher Bürohengst auf eurer Farm einreitet und von jetzt auf gleich die Zitzen eurer Kühe traktieren möchte? Johnny hat mich an die Hand genommen, hat mir gezeigt, wie man Motorrad, Quad und Traktor fährt sowie man verletzte Kühe behandelt. Und nach zwei Monaten konnte er seine Frau samt aller drei Kinder schnappen und ein Wochenende lang die Füße hochlegen. Johnny legte pures Vertrauen an den Tag. Mir gegenüber, einem Bürohengst, der Kühe vielleicht mal irgendwo am Horizont auf einer Weide gesehen hatte. Von dieser Aufgeschlossenheit und all diesen besonderen Erlebnissen, die diese persönliche Einstellung noch unterstreichen, zähre ich wirklich täglich. Es hat meine Sicht auf so manche Dinge geändert, quasi den Fokus verschoben.
Johnny ist nur ein beeindruckendes Beispiel. Denn auf meiner Reise durfte ich einige inpirierende Menschen kennenlernen, viele davon in Neuseeland. Hostelküchen sind ein Sammelbecken für interessante Menschen. Wie oft tauchte ich in Gespräche ein, die „plötzlich und überraschend“ erst vier Stunden später ein Ende fanden, weil die Müdigkeit an einem knabberte. Kleine Weisheit: Es gibt nichts besseres als saftigen und mit Liebe gebackenen Karottenkuchen um ein Uhr morgens. Und so wurden aus Fremden schnell Freunde – manche Person sogar ein wichtiger Bestandteil meines Lebens. Umso schwerer fiel schließlich der Abschied vom „Land der langen weißen Wolke“.
Doch meine Reise ging bekanntlich weiter. Es folgten Australien und Thailand. Und auch hier wimmelte es von tollen Bekanntschaften und Reisebegleitungen. Das tröstete über das Lebewohl von Neuseeland hinweg. Auch wenn ich in Australien zum ersten Mal für kurze Zeit so etwas leichtes Heimweh verspürte. Aber das sei der Tatsache geschuldet, dass Australien und letztlich Thailand einfach nur neue Kapitel markierten.
Und so schließt sich die Geschichte. Mittlerweile bin ich seit nunmehr drei Wochen wieder zurück im Berufsalltag. Und das fühlt sich gut an. Es stimmt mich wahnsinnig glücklich, dass mir eine solche Gelegenheit zu Teil wurde. Meine Herz- und Magengegend füllt sich mit einem wärmenden Gefühl, wenn ich an all die schönen Momente und Erinnerungen zurückdenke. Und dafür reicht es schon, diesen Blog, dieses Tagebuch hier aufzurufen. Oder zu lesen, zu sehen oder direkt zu hören, in welche neuen Abenteuer sich so manche Person gerade jetzt zu diesem Zeitpunkt am anderen Ende der Welt stürzt.
Ob ich noch einmal losziehen möchte? Na klar, alles andere wäre gelogen. Ein ganzes Jahr muss es nun aber nicht unbedingt direkt wieder sein. Ich werde klein anfangen. Eine Woche Israel, Italien, Nepal, Russland, Vietnam oder Kanada klingen verlockend. Schließlich habe ich in den zurückliegenden fast zwölf Monaten allerhand Kontakte geknüpft, die mir bereits Schlafplätze zugesichert haben, wenn ich eines Tages anklopfen sollte.
Es ist schön das du wieder da bist, und Martin du bist dünner glaub das deiner Mutter . Und ich werde auf deinen weiteren Abenteuern immer wieder mitfiebern und in Gedanken bei dir sein.
Tiefgründige Gespräche mit Johnny, eh? Hihi 🙂 Da beziehst du dich sicher auf die vielen Falschen 😉
Aber mal ehrlich. Ich kann vieles nachempfinden und bin sehr froh, dass du mich mit deinen Geschichten und supertollen Photos an so viele grandiose Moments erinnerst.
Ich freue mich schon weitere Reiseberichte zu lesen! Wann gehts denn endlich wieder los?!
….meinte natürlich Flaschen. Ist ein großer Unterschied! 🙂